Warum ich schreiben lernen will

Einsendeaufgabe G01: Aufgrund dieser Aufgabe wurde mein Studienleiter für mich ausgewählt. Welche Kriterien dabei zum Tragen kommen oder welches Verfahren angewendet wird, habe ich nicht erfahren. Die Aufgabenstellung war, etwas über mich und meinen Wunsch, schreiben zu lernen, dar zu stellen. Der Umfang dafür ist festgelegt auf 80 Zeilen zu je 60 Anschlägen.


Nun also ist es soweit: Sie halten das erste Werk eines „Neuen“ in den Händen. Wer ist das denn? Und was hat er zu sagen? Das sind Fragen, die Sie sich - natürlich – stellen. Lassen Sie mich also ohne weitere Umschweife zum Thema kommen.

Hauptberuflich bin ich Software-Entwickler, habe also mit Sprachen zu tun, deren künstlerische Ausdruckskraft sich kaum mit der einer „richtigen“ Sprache messen kann. Obgleich die Dokumentation meiner Arbeit einen wesentlichen Teil ausmacht, findet sie doch ihren Niederschlag in kurzen, präzisen und stilistisch schlichten Sätzen. Knapp, prägnant, genau.

Der Weg zu meiner täglichen Wirkungsstätte ist nicht nur immer derselbe (wer hätte das gedacht), sondern auch noch durch öffentliche Verkehrsmittel wohl erschlossen. Das lässt beide Hände frei, um ein Buch zu halten und darin zu lesen. Derzeit handelt es sich um „Harry Potter and the Order of the Phoenix“ im englischen Original. Weitere Lektüre stellen „Perry Rhodan“, „The Lord of the Rings“, Fachbücher oder auch Werke wie Boccaccios „Decamerone“ und Orwells „1984“, jeweils in deutscher Übersetzung, dar.

Die bevorzugte Literatur deutet ansatzweise schon auf mein liebstes und größtes Hobby hin, nämlich Rollenspiel. Dabei handelt es sich um ein Gesellschaftsspiel, bei dem jeder Spieler die Rolle eines Helden übernimmt, zum Beispiel Krieger, Magier oder Dieb. Einer jedoch, der Spielleiter, übernimmt alle anderen Rollen, also ist er mal Schurke, mal Opfer, mal bietet er Hilfestellung und mal lockt er auf falsche Fährten. Er kennt alle Geheimnisse und Lösungen und führt die Spieler durch die Spielwelt.

Als Spielleiter, der ich lange Zeit war, ist man ständig gefordert, neue, atemberaubende Geschichten zu erfinden, um die Spieler bei Laune zu halten. Es gab selten Momente, in denen ich Schwierigkeiten damit hatte, eine packende Story zu entwickeln. Oft reichen schon kleine Impulse aus, meine Phantasie und damit die Handlung in Gang zu bringen. Bisher habe ich mehr Ideen schon wieder vergessen als ich je meinen Spielern antun konnte. Jetzt, da ich das Spielleiteramt bis auf Weiteres niedergelegt habe, protokolliere ich für die Gruppe die jeweiligen Geschehnisse jeder Sitzung mit.

An dieser Stelle möchte ich erwähnen, dass ein ganzes Rollenspiel-Regelwerk meiner Phantasie und Feder entsprungen ist. Na, sagen wir: noch nicht ganz entsprungen, schließlich wartet es noch auf Fertigstellung und Publikation. Dies Manifest ist hauptsächlich dadurch motiviert, eine Welt, einen Hintergrund für meine eigenen Ideen zu schaffen, damit ich nicht nur auf die bereits vorhandenen, engeren Rahmen beschränkt bin. In einer Vision sehe ich, wie die Spielwelt im Rahmen des Regelwerkes wächst, wie sich Spielgruppen eigene Domänen schaffen, wie Beschreibungen, Szenarien, Romane, ja ganze Universen darauf basierend entstehen. Wie eine Geschichte der Evolution darauf aufbaut. Geschlechter und Völker erheben sich. Götter kommen hernieder. Es gibt Kriege, die die Welt aus den Angeln heben. Und wir alle mitten darin ...

Vielleicht sollte ich jetzt lieber wieder auf den Boden der Tatsachen zurück kehren. Und das heißt, weil es gerade so schön passt, zu meiner Schulzeit. In den ersten Jahren, in denen es in den Deutsch-Aufsätzen darum ging, seiner Phantasie freien Lauf zu lassen, feierte ich große Erfolge. Reizwortgeschichten, Phantasieerzählungen und Bildwiedergaben schrieben sich wie von selbst auf das Papier. Sie waren erstaunlich gut formuliert und kurzweilig zu lesen. Für Nacherzählungen bekam ich einmal eine Eins, weil ich sie fast wortgetreu niederschrieb, und ein anderes Mal, weil meine Fassung der Lehrerin sogar fast besser gefiel als das Original. Nachteilig auf meine Noten wirkten sich dagegen die Diktate aus. Ich hätte besser nicht allzuviel Phantasie auf die Rechtschreibung verwendet.

Später, als Gebrauchstexte unterrichtet wurden, kam dann der Einbruch. Vielleicht lag es ja auch daran, dass plötzlich das Geschlecht des Lehrkörpers wechselte. Wie dem auch sei, ab dieser Zeit rettete jedes Jahr die einzige Textbearbeitungs-Prüfung meine Vier im Zeugnis. Lesen und Fragen beantworten konnte ich ja, aber langweilige Geschäftsbriefe formulieren, schwerwiegende Probleme erörtern (wie etwa „Vor- und Nachteile eines Halsbandes bei der Hüte-Hund-Haltung“) und ach-so-spannende Dinge wie den Tafelschwamm beschreiben ging nicht so leicht von der Hand. Die außerordentliche Kraft meines schöpferischen Geistes wurde betäubt, der große Genius mit Banalem eingeschläfert.

Warum will ich also schreiben lernen? Verzeihung: gut und literarisch schreiben lernen? Nun, einerseits wogt die Hoffnung in meinem Busen, dass nicht alles, was frühes Talent und gern gelesene Kinder- und Jugendbuchautoren wie Enid Blyton und Rainer M. Schröder im Schweiße ihres Angesichts aufgebaut haben, durch schnöde Lehrer zunichte gemacht wurde. Ist es doch so, dass ich große Pläne hege und überschäumende Phantasie in ordentliche Bahnen lenken möchte. Andererseits will ich auch endlich lernen, was ich nie gekonnt: also Langweiliges erörtern, Triviales aufzeigen und über Klares schwadronieren. Kurz: Gebrauchstexte formulieren. Aber vielleicht geht gerade das ja auch anders?