Bitterer Spaß

Bei dieser Übung sollte man in ca. 50 Zeilen ein Erlebnis erzählen.


Kalle wünscht sich jeden Tag zu sterben.

In der Fünften Klasse ist er einer von nur vier Jungs. Siggi, Werner, Anton und die 18 Mädchen lachen ihn gern aus, weil er so oft weinen muss. Egal, ob er sich schämt oder wütend ist, ob er sich freut oder ärgert, immer rinnen ihm dicke Tränen über die Wangen.

An einem Frühlingstag steht er in der Pause bei den anderen Jungs. Plötzlich läuft Siggi davon. Er schubst eines der Mädchen aus der Achten Klasse, die in einer Gruppe beisammen stehen. Das Mädchen ist überrascht, aber ihr Blick ist nicht böse. Ein anderes sagt etwas, alle lachen. Anton und Werner machen es Siggi nach. „Jetzt du!“ sagt Siggi zu Kalle. Die Mädchen lachen so nett, findet Kalle, was kann es schaden. Er rennt los.

In den nächsten Tagen geht es so weiter. Jeder der Jungs nimmt drei, viermal Anlauf pro Pause. Kalle merkt, dass die Mädchen langsam ärgerlich werden. Es macht keinen Spaß, wenn sie nicht darüber lachen sondern schimpfen. Er macht nicht mehr mit.

„Jetzt du!“ befiehlt Siggi wieder. „Genau!“ ruft Werner: „Du hast schon lange keine mehr geschubst!“ „Ich hab' keine Lust mehr.“ antwortet Kalle lahm. „Los jetzt! Oder bist du feige?“ fragt Anton. Kalle will weg gehen, aber Werner stellt sich ihm in den Weg. „Du Feigling!“ sagt Siggi. „Na schön,“ meint Werner, „wenn du nicht mehr schubsen magst, dann schubsen wir eben dich.“ Er versetzt Kalle einen Stoß. Kalle stolpert. Sofort kommt Siggi von der Seite. Kalle taumelt in Richtung Anton. Der schubst ihn zu Werner.

Auf dem Heimweg macht sich Kalle Sorgen. Zu den Lehrern braucht er nicht gehen. „Man soll nicht petzen!“ würden sie ihm nur sagen. Und zu seinen Eltern kann er schon gar nicht. Sie würden ihm nicht glauben und ihn einen Lügner nennen. Stattdessen würden sie in ihm den Anstifter sehen. Er kann nur hoffen, dass es die Anderen über Nacht vergessen haben.

Sie haben nicht. Anton, Siggi und Werner umzingeln ihn gleich zu Anfang der Pause. Er wankt und taumelt und stolpert. Er versucht, Anton zu packen, aber sofort sind die beiden anderen da und zerren ihn zurück. In der nächsten Pause ist es nicht anders. „Wir hören erst auf, wenn du wieder eine schubst!“ droht Werner.

Schließlich hat Kalle genug. „Die da!“ sagt Werner und zeigt auf ein Mädchen, das schon versucht hat, ihre Peiniger zu treten. Kalle läuft halbherzig los. Das Mädchen reagiert schnell. Sie verfolgt ihn. Kalle ist mit Abstand der schnellste Läufer in seiner Klasse, aber die Ältere ist genau so schnell. Er kann sie nicht abschütteln. „Bea! Bea! Bea!“ rufen die Mädchen im Chor. Er hört es kaum. Er schlägt einen Haken und spurtet im Zick-Zack um ein paar Bäume herum. Bea gibt nicht auf. Kalle rennt quer über den Pausenhof. Eine Sackgasse. Bea streckt einen Arm nach ihm aus. Kalle duckt sich. Dann ist sie an ihm vorbei und er läuft wieder in Richtung der Bäume.

Keuchend bleibt er stehen und sieht zu, wie Bea zu ihren Freundinnen zurück kehrt. Er spürt ihre Wut. Es tut ihm so leid. „Boah, ist die schnell!“ ruft Siggi und klopft Kalle auf die Schulter.

Die Pause ist zu Ende. Die Schüler drängeln sich am Eingang. Kalle wartet, da spürt er einen Tritt in den Hintern. Er dreht sich um und sieht in Beas wutverzerrte Fratze. „Das ist die Strafe, du Blödmann!“ Er möchte ihr sagen, dass er es nicht wollte, schon lange nicht mehr. Wie sehr es ihm Leid tut. Doch statt Worte fließen nur Tränen. Am liebsten wäre er tot.